„Ich verrate meine Familie nicht"

Geldschein im Sand22.03.2016
Die Konstellation kommt in der Praxis immer wieder vor: Von einem Anschluss soll illegales Filesharing betrieben worden sein, vor dem OLG München ging es in diesem Jahr (Urteil vom 14.01.2016, Az.: 29 U 2593/15) konkret um den Titel „Only Girl" der Künstlerin Rihanna. Zugriff auf den Anschluss haben nach dem Vortrag der Beklagten außer den Anschlussinhabern (Eheleute) auch im Haushalt lebende Familienangehörige. Die Beklagten verteidigten sich in diesem Fall damit, sie selbst kämen als Täter nicht in Betracht. Tatsächlich sei die Rechtsverletzung von einem ihrer drei volljährigen Kinder vorgenommen worden. Sie wüssten zwar, welches Kind es gewesen sei, wollten dies jedoch nicht mitteilen. Vor dem OLG München hatten sie mit dieser Verteidigung keinen Erfolg.

Das Urteil bewegt sich zunächst in bekannten Bahnen: Wenn ein urheberrechtlich geschütztes Werk von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht wird, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, spricht eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers. Voraussetzung für das Eingreifen der tatsächlichen Vermutung ist allerdings nicht nur das Vorliegen einer Verletzungshandlung über den Anschluss, sondern - im Falle der hinreichenden Sicherung des Anschlusses - auch, dass der Anschluss nicht bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde. In diesem Fall trifft den Anschlussinhaber die sogenannte sekundäre Darlegungslast, der er nur genügt, wenn er vorträgt, ob und gegebenenfalls welche anderen Personen selbstständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter in Betracht kommen. In diesem Umfang ist er im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat. Bis dahin folgt das Urteil des OLG München der bekannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.
Die Anschlussinhaber vertraten hier nun die Auffassung, dass sie aufgrund des Schutzes von Ehe und Familie aus Artikel 6 Grundgesetz nicht verraten müssten, welches ihrer Kinder für die Rechtsverletzungen verantwortlich sei. Dieses Argument wischte das OLG München jedoch beiseite. Auch die klagende Tonträgerherstellerin könne sich auf ein Grundrecht berufen – Artikel 14, Schutz des Eigentums. Diesem käme im Ergebnis ein höheres Gewicht zu - andernfalls könnten die Inhaber urheberrechtlich geschützter Nutzungsrechte bei Rechtsverletzungen über von Familien genutzte Internetanschlüsse ihre Ansprüche regelmäßig nicht durchsetzen.
Somit seien die Anschlussinhaber ihrer sekundären Darlegungslast zum Zugriff Dritter auf ihren Internetanschluss nicht nachgekommen. Es sei von der tatsächlichen Vermutung ausgehen, dass die Beklagten als Inhaber des Anschlusses die Täter der Rechtsverletzung seien. Diese Vermutung konnten die Anschlussinhaber auch im Folgenden nicht erschüttern. Ihnen gelang der Beweis nicht, sie kämen zur Tatzeit gar nicht als Täter der Rechtsverletzung in Betracht. Die Anschlussinhaber wurden deshalb vom OLG München als Täter der Urheberrechtsverletzung behandelt – sie schuldeten somit nicht nur Unterlassung zukünftiger Rechtsverletzungen, sondern auch empfindlichen Schadenersatz für die bereits von ihrem Anschluss begangenen Rechtsverletzungen.
Das OLG München hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Somit ist zu hoffen, dass es in absehbarer Zeit zu einer höchstrichterlichen Klärung über den Umfang der Nachforschungspflicht des Anschlussinhabers und über das Verhältnis der Grundrechte aus Artikel 6 und Artikel 14 Grundgesetz kommt.