Abmahnanwälte deuten BGH-Urteile auf eigene Weise

22.06.2015

LöweDie Abmahnkanzleien nutzen die Vorlagen aus den BGH-Urteilen vom 11.06.2015, um ihre Gegner zur Annahme von Vergleichsvorschlägen zu motivieren. Die ersten Serienbriefe liegen auf unseren Schreibtischen und unsere Mandanten fragen uns, was von den Ausführungen zu halten ist.

Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes lässt sich nicht ignorieren, nur weil sie einen nicht überzeugt. Auf der anderen Seite sollte man sich nicht von falschen Interpretationen ins Bockshorn jagen lassen. Nachfolgend setzen wir uns mit den Argumenten der Kanzlei Daniel Sebastian im Detail auseinander.

1. Behauptung: Rechtsanwaltsgebühren für die Abmahnung sind in voller Höhe zu erstatten.

Richtig ist: Der Bundesgerichtshof hat die von den Abmahnkanzleien angesetzten Gegenstandswerte in den vorgelegten Fällen nicht beanstandet.
Falsch ist: Es besteht keine allgemein gültige Regel, dass Abmahngebühren immer und stets in voller Höhe zu erstatten sind. Für die Bemessung des Gegenstandswertes kommt es auf die Anzahl der Verstöße, die verletzten Werke und auf die jeweilige Rechtslage an. Wir kommen nicht umhin, die Frage der Gegenstandswerte in jedem Einzelfall zu überprüfen.
Viel wichtiger ist aber: Abmahnkosten müssen nur dort erstattet werden, wo auch ein Unterlassungsanspruch besteht. Ist dies nicht der Fall, weil ein Anschlussinhaber beispielsweise nicht für das Verhalten Dritter haftet, muss dieser auch keine Abmahnkosten bezahlen.

2. Behauptung: Eltern müssen Belehrungen beweisen, was in vielen Fällen nicht gelingt.

Richtig ist: Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass nicht jeder Vortrag dazu führt, dass der Anschlussinhaber entlastet wird. Wer in seinem Übereifer vorträgt, dass zwar andere Leute den Internetanschluss nutzen konnten, diese aber als Täter gar nicht in Frage kommen, muss sich gefallen lassen, dass er weiterhin als Hauptverdächtiger angesehen wird. Kinder ordnungsgemäß zu belehren ist nicht schwierig und erfordert auch keine vollständige Beweisführung. Abmahnanwälte verwechseln immer wieder die sekundäre Darlegungslast mit einer Beweislastumkehr, was Juristen eigentlich auseinanderhalten können sollten. Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass Anschlussinhaber darlegen müssen, welche konkreten Gegebenheiten zu Hause bestehen. Das geht jedoch nicht so weit, dass der Anschlussinhaber Beweis darüber führen muss, wer tatsächlich den behaupteten Urheberrechtsverstoß begangen hat.
Falsch ist: Es besteht keine Beweispflicht für die ordnungsgemäße Belehrung, wohl aber eine Darlegungslast.

3. Behauptung: Wenn Eltern nicht haften, so haftet das Kind und am Ende müssen die Eltern zahlen.

Diese Argumentation hat eine perfide Logik und kann den Laien davon überzeugen, dass jeder Widerstand zwecklos ist. Tatsache ist: Würde der abgemahnte Anschlussinhaber seine Kinder beschuldigen und womöglich sogar Beweise für deren Tatbegehung vorlegen und wären diese Kinder deliktsfähig, so würden die Kinder für den Schaden haften.
Falsch ist: Es gibt keinen Automatismus, der zu einer Haftung des Kindes führt, wenn die Eltern wegen richtiger Belehrung nicht haften. Kein Anschlussinhaber ist verpflichtet, einen Beweis gegen seine Kinder oder Mitbewohner zu führen. Tatsächlich ist es jedoch ein schmaler Grat, einerseits die Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast zu erfüllen und andererseits kein Beweismittel für einen Dritten zu schaffen. Das gilt auch für die Konstellation mit Mitbewohnern, Ehepartnern oder Untermietern. Für die Abwehr des Anschlussinhabers reicht es aus, die konkreten Möglichkeiten der Internetnutzung darzulegen. Der Anschlussinhaber muss keinen Beweis darüber führen, dass nicht er, sondern ein Dritter die Rechtsverletzung begangen hat. Der Anschlussinhaber kann von seiner Haftung auch dann frei werden, wenn der neue Verdächtigte seine Tatbeteiligung abstreitet. In einem solchen Fall tun sich die Abmahnkanzleien sehr schwer, erfolgreich gegen einen mutmaßlichen Täter vorzugehen, wenn am Ende sowohl der Anschlussinhaber, als auch der andere Nutzer als Täter in Betracht kommen.

4. Behauptung: Vor diesem Hintergrund stellt sich das Vergleichsangebot als besonders günstig dar.

Fakt ist, dass die Beratung komplexer wird und eine Verteidigung gegen die Ansprüche zusätzliche Kosten verursachen kann. Aus wirtschaftlichen Gründen kann es tatsächlich ab einem bestimmten Zeitpunkt günstiger sein, sich auf einen Vergleich einzulassen, wenn Ihnen keine guten Argumente zur Seite stehen oder Sie die andauernde Ungewissheit nicht ertragen können. Auf der anderen Seite hat sich die Rechtslage nicht grundlegend verändert. Der Bundesgerichtshof hat seine bisherigen Urteile nicht revidiert, sondern lediglich ergänzt.